Das Adventsgärtlein ist ein noch „junges“ Fest und stammt wohl aus dem bayrischen Wald. Von dort ist es in die Schweiz getragen worden und hat zunächst in den heilpädagogischen Einrichtungen Fuß gefasst. 1925 ist es erstmals im Sonnenhof in Arlesheim gefeiert worden. Später ist es in die Waldorfkindergärten „weitergewandert“ und auch in die untersten Klassen der Waldorfschulen. Heute ist der Brauch, ein Adventsgärtlein zu feiern, in ganz vielen Waldorfeinrichtungen zu finden.
Das Adventsgärtlein ist eine meditative und stimmungsvolle Feier, die auf die Adventszeit einstimmen will. Dieses Ritual steht für den Weg, den wir in der Adventszeit innerlich zurücklegen. Wir entzünden unser kleines Licht an dem großen Weihnachts- oder Christuslicht und tragen es dann in die dunkle Welt hinaus. Das ist ungemein tröstlich, wenn draußen in der Natur die Dunkelheit am größten ist. Das Adventsgärtlein ist auch ein Vorbote des Weihnachtsfestes. Wir machen uns auf den Weg das Christkind zu empfangen.
In der Deele ist es dunkel, bis auf die Kerze in der Mitte. Nach und nach erstrahlt die Spirale. Mit jedem Apfellicht wird es heller, bis die ganze Spirale hell erleuchtet ist. Wenn jedes Kind seinen Apfel mit der Kerze abgestellt hat, ist aus dem dunklen Raum ein heller, vom Kerzenlicht erfüllter Raum geworden. Begleitet werden die Kinder bei ihrem Weg in das Innere der Spirale mit einer kleinen Leiermusik, die in Quinten-Stimmung gehalten ist. Zwischendurch werden Adventslieder gesungen und am Schluss ertönt: „Alle Jahre wieder kommt das Christuskind auf die Erde nieder, wo wir Menschen sind.“
Dieses einfache, aber sehr stimmungsvolle Ritual hat eine tiefe Wirkung auf die Kinder. Sie sind ganz erwartungsvoll, wann sie an der Reihe sind und gestalten ihren Weg in die Spirale individuell. Größere Kinder gehen gern allein, kleine Kinder genießen es begleitet zu werden. Die Spirale wird so gelegt, dass Rollis durchpassen. Es kann aber auch anders gewünscht sein. Die begleitende Mitarbeiterin/der begleitende Mitarbeiter spürt immer ab, wie es für das einzelne Kind stimmig ist. Manchmal begleitet auch eine Mutter ihr Kind. Es gibt kein richtig oder falsch.
Nicht nur der eigene Weg in die Spirale, auch der Weg jedes anderen Kindes wird miterlebt und innerlich begleitet. Was für eine Bedeutung das Erleben des Adventsgärtleins für das Kind hat, kann ganz unterschiedlich sein und mag sich auch im Laufe der Zeit ändern. Die Kinder erleben die Bedeutung ganz intuitiv. Das ist das Wunderbare an Ritualen! Sie lassen Spielraum für verschiedenste Arten des Erlebens und Empfindens. Jeder nimmt für sich etwas anderes daraus mit.
Die Kinder warten vor der Tür, kommen herein und bekommen ihr Apfellicht und tragen es dann in den Bereich der Spirale hinein.
Die Spirale ist in allen Kulturen ein uraltes heiliges Symbol. In der Natur ist die Spiralform immer und immer wieder zu finden: in Muscheln, Schnecken, dem Fruchtstand von Pflanzen und auch die Spinnen bauen ihr Netz spiralförmig. Sie ist ein Symbol für unendliche Bewegung, für die Einheit von Denken und Sein, Leben und Tod. Die Spirale ist seit jeher auch ein Symbol für den Weg der Menschenseele zu sich selbst. Während der Kreis Innen- und Außenraum abtrennt, führt bei der Spirale ein Weg von außen nach innen.
In der Mitte der Spirale leuchtet eine große Kerze. Es ist das „ewige Licht“, das nie erlöscht, der Mittelpunkt, von dem alles ausgeht und in den alles wieder einmündet. Es ist das Weihnachtslicht oder auch das Christuslicht. Beim Hineingehen in die Spirale kommen die Kinder zu diesem Licht in der Mitte. Der Weg in die Spirale könnte auch als Bild für die kindliche Biographie stehen: das Suchen eines Lichts auf dem Lebensweg und mit diesem Licht die Umgebung für alle anderen mit zu erhellen.
Die Kerze, die jedes Kind an dem Licht in der Mitte der Spirale entzündet, steckt in einem Apfel. Der Apfel erinnert an die Erschaffung des Menschen und den Sündenfall. Der Apfel, einst vom Baume der Erkenntnis, wird im Adventsgärtlein nun zum Träger des Lichtes und steht als Symbol für die irdischen Erkenntniskräfte. Das Licht der brennenden Kerze ist ein lebendiges Licht, das nur so lange Licht und Wärme verbreitet, als es von seiner eigenen Substanz etwas hingibt. Außerdem strebt die Flamme immer nach oben.
Die Apfellichter stehen auf einem goldenen Stern. Seit Jahrtausenden dienen die Sterne als Wegweiser und selbst heute noch ist dies so geblieben. Der Stern ist auch ein Schutzsymbol. Goldene Sterne kommen natürlich vom Himmel!
Vielleicht macht es das Geheimnis des Adventsgärtlein aus, dass so viele Bilder darin zu spüren sind. Wir können uns diese bewusst machen und dann dieses Fest nicht nur aus Tradition, sondern aus Einsicht mit den Kindern feiern. Ein solches Fest kann dann Seelennahrung für die Kinder und auch für die Erwachsenen sein.